Trauerweide am Redefluss
Springt das Flussbett über Steine,
schmatzt geschwätzig durch Geröll,
hängt karg am Rand die Trauerweide
krallt die Wurzeln in den Lehm.
Unterspült den Halt zu Mutter Erde,
langsam durch der Worte Schwall,
ist hier kein Platz für Trauerweiden,
Stell dich bitte nicht so an!
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Wintergedicht
Weis fließt in das Blau.
Taube Finger graben, formen, müssen gestalten.
Klirrt der Geist, brennt das Herz.
Kalte Flamme.
Stampfen, reiben, Bewegung ist Wärme.
Schüttelt die Flocken vom Pelz.
Was nährt im Eis?
Lahm wie der Tod.
Die Ruhe sucht Heimat. Schuhe im Schnee.
So verliert sich die Spur.
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Zeitennebel
Mit Kreide auf der Schiefertafel,
wandert übers Nebelmeer.
Dampfend rast die Zeitmaschine
zu der Klippe Überhang.
Wird der Sprung vom Fels gelingen?
Schrill die Achse dreht das Rad.
Funken sprühen, die letzte Biegung
Eisen auf Eisen jeder Schlag.
Dann lösen Räder sich von Gleisen,
schieben auf die Grenze zu,
hinein in Nebel ohne Boden,
fallen die Zeiger von der Uhr.
Und donnernd sprengen die Streben
die Felge mit krachendem Beben.
Kreide auf der Tafel im Nebelmeer.
Steht, schwebt, fliegt, still.
diffuse Schemen, Augenblickunendlichkeit.
Am Himmel die Sterne. Schweif aus Licht.
Sanft geborgen umhüllt.
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Lebenslaufsteg im Wellenschlag.
Unter hellem Blitzlichtgewitter spiegelt sich die Venus hinunter zum Felsengrund,
sinkt langsam, wirft durch den Spiegel den Blick zurück.
Was durch den Himmel strahlt schafft Sentiment.
Ein kalter Nährboden für Funkenregen.
In den Spiegel aus Wellenschlag ragt der Steg.
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Märchenstundenglas
Höfische Spiegelsaaltristesse
weckt im Auge der Lügenbaronesse
Märchenstundenglasmomente
In den Spiegeln an den Wänden.
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Notre Dame in Flammen
Sie blickt in strafende Gesichter.
Die Jacke überdeckt ihr Kleid.
Die Tugend will das Mädchen richten
Moral ist manchmal größtes Leid.
Der, für den sich alle schämen.
Jeder achtet ihn gering.
Erkennt das Unheil in der Sitte,
Dem Richtspruch, der vor sich ging.
Ins ehrwürdige Gemäuer,
das dort seit jeher wachend stand
bringt er das Mädchen mit den Locken
und der Tasche in der Hand.
Hell rauscht die Flamensäule zu den Sternen,
wo einst der guter Gnom gelebt.
Die Glocke fällt und springt in tausend Scherben,
und doch der Frieden nicht vergeht.
Auf einer Bank am Lauf der Seine,
wo Wind Zeitungspapier verweht.
Hängt die vergessene Tasche an der Lehne.
Die Suche ewig weiter geht.
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Diskussion
Ich gehe die Königsallee hinunter.
Im sprudelnden Wasser vom Brunnen
glänzt die Sonne.
Vorm Kiosk stehen Zeitungsständer
mit bunten Blättern.
Schwarze Limousinen rauschen vorbei.
Schwarz auf weiß und groß und klein die Lettern
mit Sprachen aus aller Herren Länder.
Alles geht durcheinander, ruft der Kioskbesitzer. Wer hat die Zeitungen so zerpflückt?
Jetzt wird Ordnung geschaffen!
Eine jede steckt er in ihr Fach.
Sortiert nach Sprachen und nach Thema.
Er scheidet Feuilleton von Politik.
Den Sport steckt er zum Boulevard.
Heute ist immer noch Krieg.
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Rilkes anderer Herbst
Wenn Sturm durch dürre Äste geht
die Krähen in den Furchen ducken
Stoff am Gatter hilflos weht
Grau und Schwarz den Wald verschlucken.
Setzt unter Donnern Regen ein
des Jägers Pfad wird zum Morast
hinab vom Feld zum Tannenhain
von Dornenranken eingefasst.
Still steht das Reh zwischen den Büschen
Es trommelt auf des Waldes Zelt
die Tropfen hängen an den Zweigen
Das Wasser stetig nieder fällt.
Wild und Jäger stehen still
hier toben höhere Gewalten
Egal was man auf Erden will
der Himmel zwingt zum Innehalten.
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Sie tanzt um die Lettern,
sie spricht zwischen Worten,
sie atmet den Geist und den Sinn.
Was keiner sieht,
Was keiner hört,
ist immer da.
Gedanken umkreisen,
die schweren, die leichten,
Gefühle kommen und gehen.
Der Klang der Zeit,
der Duft des Raums,
was Himmel und Erde bewegt.
Das Lied der Stille,
der lebendige Tod,
sie bleibt an einem Ort.
Von keinem gesucht,
gefunden von jedem,
Licht und Wärme und ruhen.